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älterer Herr sitz in einem selbstfahrenden Bus

Wie ältere Menschen von selbstfahrenden Autos profitieren

22.12.2020

Automatisierte Fahrzeuge könnten gerade älteren Menschen mit besonderen Bedürfnissen dabei helfen, ihre Mobilität, Autonomie und Lebensqualität zu verbessern. Allerdings erfüllen sich diese positiven Erwartungen nicht von selbst: Die Menschen müssen durch die Technologie wirklich entlastet werden – es darf also zu keinen Überforderungen durch die Technik kommen. Das muss durch eine sorgfältige Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstellen sichergestellt werden.

Automatisierte Fahrzeuge stehen quasi vor der Tür: Es ist absehbar, das Autos und andere Verkehrsmittel in den nächsten Jahren immer autonomer werden. Das wird uns allen mehr Komfort und Sicherheit im Straßenverkehr bescheren. Auch und gerade für ältere Menschen verspricht die technologische Entwicklung große Vorteile, die ihnen laut Expert*innen mehr Mobilität, Autonomie, Lebensqualität und Teilhabe an der Gesellschaft bringen. So könnten teil- und vollautonome Autos auch jenen Menschen das Mobilsein ermöglichen, die nicht mehr in der Lage sind, selbst ein Auto zu lenken. Oder: Öffentliche Verkehrsmittel könnten Fahrgäste an jedem beliebigen Ort abholen – damit entfiele der beschwerliche Weg zu einer Haltestelle.

Technische Hilfseinrichtungen können weiters ältere Menschen beim Schulterblick unterstützen, der ihnen Schmerzen bereitet. Sie können sich auch auf die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Hör- oder Sehproblemen einstellen. Oder sie setzen die Passagier*innen direkt beim Wohnhaus ab und suchen sich selbst einen Parkplatz. Denkbar sind viele weitere Anwendungen – beginnend bei Roboter-Trolleys, die die Einkäufe nach Hause bringen, bis hin zu Rollstühlen mit Notfallassistenten und Rollatoren mit intelligenten Navigationssystemen.

Doch wie sehen das die Betroffenen? Schätzen ältere Menschen diese Innovationen ebenso positiv ein wie viele Expert*innen? Oder gibt es Faktoren, die die technologischen Entwicklungen auch kritisch erscheinen lassen? Forscher*innen am AIT Austrian Institute of Technology haben sich das in einer Studie mit der Kurzbezeichnung A4F – das steht für „Anforderungs- und Akzeptanzanalyse des altersgerechten automatisierten Fahrens“ – genauer angesehen. Sie haben zum einen systematisch die möglichen Anwendungsfälle analysiert und zum anderen in Workshops deren Akzeptanz bei den künftigen Nutzer*innen erhoben.

kleiner Roboter bringt ein Paket einer älteren Dame zur Tür

Spannende Helfer für den Alltag in der Zukunft sind z. B. Zustellroboter, automatisierte Roboter-Trolleys, die die Einkäufe nach Hause bringen, Rollstühle mit Notfallassistenten oder Rollatoren mit intelligenten Navigationssystemen.

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Hochautomatisierte Autos sind interessant

Das Ergebnis fällt differenziert aus. Ein zentraler Schluss der Forscher*innen rund um Peter Fröhlich von Center for Technology Experience lautet: „Der hochautomatisierte Individualverkehr, in dem das eigene Auto zum Chauffeur wird und Fahrten mit hohem Komfort und ohne die Notwendigkeit von Fahrtüchtigkeit erlaubt, weist die größte Attraktivität für ältere Personen auf.“ Der größte Wert der Automatisierung liegt demnach für ältere Personen in der Entlastung von der Fahraufgabe: Das eigene Auto wird zum Chauffeur, möglich wird ein stressfreies Fahren. Das gilt allerdings nur dann, wenn es sich wirklich um eine Entlastung handelt. Das bedeutet: Die Systeme müssten so gestaltet sein, dass ihre technische Handhabung und die Kommunikation mit ihnen keine Zusatzbelastungen mit sich bringen. So könnte etwa ein Touchscreen bei Personen mit eingeschränkter Sehkraft oder feinmotorischen Fähigkeiten zu einer Belastung werden.

Ein Thema, das besonderer Aufmerksamkeit bedarf, ist die Wahrung der Autonomie. „Wenn ältere Menschen selbst fahren, dann fühlen sie sich lebendig“, lautete eine zentrale Aussage bei den durchgeführten Workshops. Wenn die Technik dem Menschen aber alles abnimmt, wird das aktive, selbstbestimmte Handeln beeinträchtigt – viele Menschen fühlen sich dann entmündigt.

Dennoch überwiegt bei den Teilnehmer*innen der Workshops der Optimismus: „Ich hoffe auch, dass es das [Anm.: den Hoch- und vollautomatisierter Individualverkehr] gibt, weil es erlaubt mir auch Auto zu fahren, wenn ich es nicht mehr kann.“ Oder: „Am besten gefällt mir das vollautomatisierte Fahren, als Überland-Fahrt verstanden, da ist am meisten automatisiert, da muss ich am wenigsten tun.“ Eine weitere typische Aussage lautet: „Das hier beschriebene Szenario wäre theoretisch der Idealzustand – wenn alles funktioniert!“ 

Persönliche Ansprache ist wichtig

Teilautonome Fahrzeuge werden hingegen etwas kritischer gesehen: Diese könnten zwar ebenfalls eine Entlastung für ältere Menschen mit sich bringen – sie müssten aber speziell auf deren Bedürfnisse und Fähigkeiten angepasst werden, so die Forscher*innen. Andernfalls könnten sie schnell zu einer Überforderung führen. Von den Teilnehmer*innen des Workshops wurde es nicht als ausreichende Erleichterung angesehen, wenn die Aufmerksamkeit trotzdem erhalten bleiben muss. Wenn das Auto z. B. den Lenker bzw. die Lenkerin in einer kritischen Situation zur Übernahme auffordert, befürchten viele ältere Menschen, dass sie aufgrund ihrer langsameren Reaktionsfähigkeit in Probleme geraten könnten. Umso wichtiger ist es, dass die Systeme adäquat mit den Menschen kommunizieren. Eine Möglichkeit sind Sprachdialoge – auch in Hinblick darauf, dass ältere Menschen ein höheres Bedürfnis nach Kommunikation und Einbindung haben. Doch bei Hörbehinderungen stößt man hier an Grenzen.

Viele ältere Menschen befürchten ganz allgemein bei hochautomatisierten Verkehrssystemen, dass persönliche Ansprache und Betreuung zu kurz kommen könnten. Bei herkömmlichen Fahrdiensten z. B. sorgt der Fahrer / die Fahrerin dafür, dass die Menschen von der Wohnung abgeholt werden und zum bereitstehenden Auto begleitet werden. Das entfällt etwa bei automatischen Mikrobussen, die „on demand“ zum Wohnort bestellt werden. Zumindest war dies in der Vergangenheit so, denn wie Peter Fröhlich erläutert wird zurzeit intensiv an Methoden zur persönlichen Ansprache gearbeitet.

Ein spezielles Thema ist die Begegnung von Menschen mit Roboter-Autos. Besonders große Unsicherheit besteht unter älteren Menschen im Hinblick auf ihre zukünftige Rolle als Fußgänger*innen in einer Verkehrssituation mit automatisierten Fahrzeugen. Als Problem wird etwa angesehen, dass neue Interaktionsformen bzw. neue Technologien und Signalisierungen erst mühsam erlernt werden müssen. Angemerkt wurden aber auch etliche positive Aspekte – etwa die Möglichkeit, dass autonome Autos besser auf Fußgänger*innen Rücksicht nehmen können, indem sie beispielsweise bewusst langsam durch Wasserlacken fahren.

älteres Päarchen fährt in einem Bus

Persönliche Ansprache und Betreuung sind für ältere Menschen besonders wichtig. Viele befürchten, dass alles „Menschelnde“ bei hochautomatisierten Verkehrssystemen zu kurz kommen könnte. Das muss durch ein wohlüberlegtes Design der Systeme verhindert werden.

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Sorgfältige Gestaltung der Systeme

Aus den Anforderungs- und Akzeptanzanalysen leiten die AIT-Forscher*innen ab, dass man bei der Gestaltung der Verkehrssysteme und insbesondere der Mensch-Maschine-Schnittstellen auf die besonderen Bedürfnisse älterer Menschen eingehen müsse. So sollte beispielsweise der Grad der Automatisierung einfach eingestellt werden können. Weiters müsse man älteren Menschen einen Lernprozess ermöglichen: Um Unsicherheiten und Ängste zu nehmen, sollten zuerst technologisch niederschwellige Lösungen eingeführt und spezielle Schulungen und personalisierte Trainings angeboten werden.

Und schließlich dürfe man auf die Leistbarkeit der neuen Technologien vor dem Hintergrund der Altersarmut nicht vergessen: „Bestehende Diskriminierungen und soziale Hierarchien über die Kategorie Alter hinweg können sich bei Nicht-Beachtung noch weiter verschärfen“, so Peter Fröhlich.

Dieses Projekt wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) finanziert und durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) im Rahmen des Programms benefit beauftragt.