Energieeffizienz an erster Stelle

Das Prinzip „Energieeffizienz an erster Stelle“ (englisch für „energy efficiency first“-principle, daher im Folgenden: EE1st) ist ein übergeordneter Grundsatz, der nach der neuen EU-Energieeffizienzrichtlinie (EED III) künftig in allen Sektoren, über das Energiesystem hinaus, Berücksichtigung finden soll. Wenn Energieeffizienz ein Teil der Lösung sein kann, sollen Energieeffizienzlösungen bei Planungs-, Politik- und größeren Investitionsentscheidungen in Erwägung gezogen werden. Sofern auch kosteneffizienter, soll die Variante mit dem geringsten Energieverbrauch gewählt werden.

Das EE1st-Prinzip ist definiert als „die größtmögliche Berücksichtigung alternativer kosteneffizienter Energieeffizienzmaßnahmen für eine effizientere Energienachfrage und Energieversorgung“ (vergleiche Artikel 2 Z 18). Die Anwendung des EE1st-Prinzips verlangt dem Erwägungsgrund 64 zu Folge, dass die EU-Mitgliedstaaten im Vorfeld von Entscheidungen über Planungen, Politiken und Investitionen im Energiebereich prüfen müssen, ob kosteneffiziente sowie technisch, wirtschaftlich und ökologisch tragfähige Energieeffizienz-Lösungen gefunden werden können, ohne die Erreichung der mit den Entscheidungen verfolgten Ziele zu gefährden. Zu solchen kosteneffizienten Alternativen gehören, wie die Begriffsdefinition des Artikel 2 Z 18 Governance-Verordnung festlegt, „kosteneffiziente Einsparungen beim Energieendverbrauch, Initiativen für eine Laststeuerung und eine effizientere Umwandlung, Übertragung und Verteilung von Energie“.

Neue unionsrechtliche Anforderungen durch EED III

Mit der neuen EU-Energieeffizienzrichtlinie (EED III)  wird das EE1st-Prinzip als übergeordneter Grundsatz in einem eigenen neuen Artikel 3 EED III verankert. Zum einen wird der Anwendungsbereich des Prinzips über den Sektor Energie hinaus auf weitere Sektoren mit Auswirkung auf Energieverbrauch und Energieeffizienz ausgedehnt(zum Beispiel Gebäude, Verkehr, Wasser, Informations- und Kommunikationstechnologie, Landwirtschaft und Finanzen); zum anderen nimmt die EED III gegenüber der Vorgängerrichtlinie EED II eine deutliche Ausweitung und Konkretisierung hinsichtlich spezifischer Handlungsanforderungen vor.

Die EED II trug zwar auch bisher schon zur Umsetzung des EE1st-Prinzips bei, enthielt jedoch noch keine spezifischen Anforderungen für dessen Anwendung: So mussten die zentralen öffentlichen Beschaffungsstellen in den EU-Mitgliedstaaten beim Kauf von Waren, Gebäuden und Dienstleistungen eine hohe Energieeffizienz berücksichtigen (vergleiche Artikel 6 EED II), die ressourcen- und kostenwirksamsten Lösungen zur Deckung des Wärme- und Kältebedarfs unter Durchführung einer Kosten-Nutzen-Analyse – auch unter Einbezug hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) – ermitteln (vergleiche Artikel 14 EED II), sicherstellen, dass auch nationale Energieregulierungsbehörden bei Wahrnehmung ihrer normativen Aufgaben im Zusammenhang mit dem Betreib der Gas- und Elektrizitätsinfrastruktur der Energieeffizienz gebührend Rechnung tragen (vergleiche Artikel 15 EED II) sowie geeignete Maßnahmen zur Beseitigung rechtlicher und sonstiger Hemmnisse für die Energieeffizienz ergreifen (vergleiche Artikel 19 EED II). Mit der EED III wird die Anwendung des EE1st-Prinzips jetzt jedoch um einiges konkreter:

Im Einzelnen haben die EU-Mitgliedstaaten nach der EED III nunmehr bis zum Ablauf der allgemeinen Umsetzungsfrist (11. Oktober 2025) sicherzustellen, dass Energieeffizienzlösungen, einschließlich nachfrageseitiger Ressourcen und Systemflexibilitäten, bei Planungs-, Politik- und größeren Investitionsentscheidungen iHv jeweils mehr als 100 Millionen Euro beziehungsweise 175 Millionen Euro im Falle von Verkehrsinfrastrukturprojekten des Sektors Energie und in anderen energieverbrauchsrelevanten Sektoren bewertet werden.

Der Anwendungsbereich für EE1st eröffnet sich immer dann, wenn Energieeffizienz eine Option ist und Teil der Lösung sein kann. Diesfalls sollte sich ein Mitgliedstaat bei einer Entscheidung zwischen Varianten mit geringerem Energieverbrauch und Varianten mit höherem Energieverbrauch für die Variante mit dem geringsten Energieverbrauch entscheiden, sofern diese – basierend auf einer Bewertung mittels einer ganzheitlichen Kosten-Nutzen-Analyse – kosteneffizienter ist. Kann also beispielsweise das Ziel einer sicheren Stromversorgung gleichermaßen durch zusätzlichen Einsatz von erneuerbarem Strom und stärkeren Ausbau des Netzes (Variante A) oder durch Spitzenverbrauchsenkung mittels Laststeuerung (Variante B) erzielt werden, ist der nachfrageseitigen Lösung (Variante B) der Vorzug zu geben.

Die Bewertung hat die weiter reichenden Vorteile von Energieeffizienzlösungen unter Anwendung von Methoden für Kosten-Nutzen-Analysen zu umfassen. Im Mittelpunkt von EE1st steht die Kosteneffizienz, aber nicht nur aus Perspektive der Investorin beziehungsweise des Investors oder der Nutzerin bzw. des Nutzers, sondern aus einer umfassenden gesellschaftlichen Perspektive. Insofern gilt es auch soziale, ökologische und wirtschaftliche Indikatoren zu berücksichtigen:

  • Zum sozialen Nutzen gehört unter anderem ein verbessertes Wohlbefinden und ein höherer Komfort (zum Beispiel aufgrund einer ordnungsgemäßen Beheizung/Kühlung und einer verbesserten Raumluftqualität in Wohnbauten), die in der Folge zu einer Verbesserung der körperlichen und geistigen Gesundheit führen. Eine verbesserte Effizienz senkt zudem die Energierechnung und kann das Haushaltseinkommen erhöhen.
  • Der Nutzen für die Umwelt bezieht sich auf die umfassenderen Effekte eines geringeren Energieverbrauchs, insbesondere auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen und der Luftverschmutzung im Zusammenhang mit der Energienutzung. Darüber hinaus verbessert ein geringerer Energiebedarf die Bewirtschaftung von Energiequellen und anderen Ressourcen. Dies führt zu unmittelbaren Einsparungen bei der zu erzeugenden Energie, insbesondere in Bezug auf die Menge der verbrauchten fossilen Brennstoffe. Zudem wird der Bedarf an Investitionen in erneuerbare Energien verringert.
  • Der wirtschaftliche Nutzen kann auf Mikro- und Makroebene liegen. Die mikroökonomischen Auswirkungen stehen im Zusammenhang mit einer höheren industriellen Produktivität infolge geringerer Energieausgaben und einem höheren Marktwert von Anlagen mit besserer Energieeffizienz. Die makroökonomischen Auswirkungen können etwa Veränderungen beim BIP und bei der Beschäftigung sowie bei den öffentlichen Haushalten durch die Auswirkungen auf die Energiepreise betreffen. Weitere zu berücksichtigende Aspekte wären Auswirkungen auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, die durch energieeffiziente Technologien verbessert werden können, sowie die Verbesserung der Energieversorgungssicherheit durch geringer Abhängigkeit von Einfuhren.

Für die Überwachung der Anwendung des EE1st-Prinzips ist eine zuständige Stelle zu benennen. Im Rahmen der integrierten nationalen energie- und klimabezogenen Fortschrittsberichte (NECPR), mit nächster Fälligkeit März 2027, muss künftig eine Berichterstattung an die Europäische Kommission dahingehend erfolgen, wie die Anwendung und Vorteile von EE1st in Energiesystemen bewertet werden, samt einer Liste an Maßnahmen, die zur Beseitigung unnötiger (nicht-)regulatorischer Hindernisse ergriffen wurden.

Hinweis

Die Empfehlung der Europäischen Kommission zum Thema „Energieeffizienz an erster Stelle: von den Grundsätzen zur Praxis“ ist hier abrufbar:
Energieeffizienz an erster Stelle

EE1st-Bundes- und Länderstrategien

Im Zuge der Novelle zum Bundes-Energieeffizienzgesetz BGBl. I Nr. 59/2023 wurde unter anderem die Stärkung des Prinzips „Energieeffizienz an erster Stelle“ zu einer der wesentlichen Zielsetzungen erhoben. § 38 Abs. 5 EEffG sieht vor, dass der Bund und die Länder spätestens bis zum Ende des Kalenderjahres 2024 eine Strategie zu erstellen haben, um die Durchführung des Prinzips in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen zu dokumentieren. Diese Strategie wird in Folge im Rahmen der integrierten Fortschrittsberichte zum NEKP zweijährlich zu aktualisieren und zu veröffentlichen sein.

Die Bundesstellen erarbeiten aktuell eine Dokumentation zur Durchführung des EE1st-Prinzips im Rahmen der Vorbildfunktion des Bundes gemäß dem 4. Abschnitt des 3. Teils zum EEffG. Weiters wird eine Potentialerhebung im Hinblick auf die weitergehenden Vorgaben der EED III, samt ersten Überlegungen zur Methodik für Kosten-Nutzen-Analysen, dokumentiert. Gleichfalls haben die Bundesländer ihre Arbeiten aufgenommen.