Steinberg am Rofan  Agenda-Vorbild

Die kleine Tiroler Gemeinde im Bezirk Schwaz besticht durch ihren wunderbaren Natur- und Kulturraum, hat jedoch einiges an Berg- und Talfahrt bereits hinter sich: Nach dem Zweiten Weltkrieg vom entdeckten Tourismusort und damit verbundenem Aufstieg bis in die 1980er und dem Ausklingen des Tourismus und damit einhergehenden Verlust vieler Strukturen. Seit 2011 gelang es der Gemeinde mit Hilfe eines breit angelegten Bürgerbeteiligungsprozesses, diesen Trend wieder umzukehren und gemeinsam mit seinen Bürger:innen zahlreiche Projekte umzusetzen um die Vitalität des Dorfes zu sichern.

Das Land Tirol förderte die Gemeinde im Rahmen der Lokalen Agenda 21 bislang mit vier Beteiligungsprozessen und konnte damit die Entwicklung wesentlich mit unterstützen. Heute ist Steinberg am Rofan sogar ein ausgezeichnetes „Bergsteigerdorf“ und steht für nachhaltigen Tourismus.

Kurzprofil zur Gemeinde

Steinberg am Rofan
Steinberg am Rofan,  Foto Conni Hessing

Steinberg am Rofan ist eine Kleingemeinde im Tiroler Bezirk Schwaz mit 287 Einwohner:innen (2022). Die Gemeinde liegt am Ende eines von Bergen eingerahmten Hochtals, das vom Achental abzweigt. Als Streusiedlung ist die Gemeinde locker bebaut, achtzig Prozent der Gemeindefläche sind bewaldet, vier Prozent werden als Siedlungsraum genutzt. Der nächste Ort, Achenkirch, ist über eine zehn Kilometer lange Straße erreichbar.

Im Talschluss gelegen, hat sich Steinberg bis heute eine einzigartige Natur- und Kulturlandschaft erhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich Steinberg am Rofan zu einem beliebten Tourismusziel für Menschen aus dem süddeutschen Raum. In den späten 1980er-Jahren begann ein langsamer, stetiger Abstieg des Dorfes. Touristische Betriebe, Gastronomie und Lebensmittelhandel sperrten zu. Ab 2011 gelang es der Gemeinde mit einem breiten Bürgerbeteiligungsprozess, diesen Trend umzukehren und gemeinsam mit ihren Bürger:innen zahlreiche Projekte umzusetzen, die die Vitalität des Dorfes sichern.

Struktur und Personen

Prozessverlauf

Ausgangssituation

Nachdem ab den späten 1980er Jahren touristische Betriebe und das Lebensmittelgeschäft im Ort schließen mussten, spitzte sich die Situation im Dorf ab dem Jahr 2000 zu. Das einzige Hotel im Dorf sperrte zu, die kleinen Skilifte standen wirtschaftlich vor dem Aus. Zwischen 2006 und 2011 verzeichnete Steinberg keine einzige Geburt. Der Ort wartete bis in die 2000er-Jahre auf einen „Messias“ von außen, der dem Dorf mit einem Großprojekt wieder Leben einhauchen würde (von einer Schiarena bis Golfplatz). Das Warten blieb vergeblich. Die Dorfgemeinschaft und die politische Führung dachten um. Unter dem Motto „Mit den Bürger:innen – für die Bürger:innen!“ hielt das Instrument der Bürgerbeteiligung Einzug und wurde zum Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der Gemeinde.

Zielsetzung

Die Ziele des gesamten Prozesses seit 2011 waren durchgängig:

  • die Stärkung der Dorfgemeinschaft und die Förderung von Zusammenhalt und gemeinsamer Identität,
  • die Schaffung von wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven, 
  • die Erhaltung des einzigartigen natürlichen und kulturellen Erbes,
  • die Weiterentwicklung des Dorfes auf der Grundlage von Innovation und Tradition, Natur und nachhaltiger Infrastruktur, Raum und Ruhe.

Prozess

Im Jahr 2011 beschloss der Gemeinderat, gemeinsam mit der Bevölkerung aktiv an der Zukunft von Steinberg zu arbeiten. Die Gemeinde rief einen zufällig ausgelosten Bürger:innenrat ins Leben, der drei Projekte als wesentlich für die Steinberger Entwicklung auswählte:

  • die Belebung des Dorfplatzes und die Schaffung eines Treffpunkts, 
  • die Absicherung der örtlichen Skilifte (Rofanlifte Steinberg), 
  • die Verbesserung des Wander- und Bergwegenetzes.

Die Bürger:innen entschieden sich in einem Bürger:innen-Café mit mehr als 120 Menschen ganz eindeutig dafür, das Projekt „Dorfplatz“ intensiv und als erstes umzusetzen. Gemeinsam mit einem Projektteam, das sich aus Bürger:innen, Gemeinderät:innen und dem Bürgermeister zusammensetzte, wurde das Dorfhaus als neuer Treffpunkt geplant und über einen Architekturwettbewerb bis zur Umsetzungsreife geführt.

Durch die Beteiligung wurden Bürger:innen aktiviert, selbst an der Weiterentwicklung ihrer Gemeinde mitzuwirken. Es kam zur Bildung einer großen Freiwilligengruppe, die sich bis heute in zahlreiche Projekte einbringt, etwa in die Belebung des Dorfhauses, die Erhaltung und Weiterentwicklung der Skilifte, die Organisation und Durchführung von Veranstaltungen oder im sozialen Bereich.

Die positive Energie und der Schwung aus dem ersten Beteiligungsprozess wurden genutzt, um im Jahr 2016 einen zweiten Bürger:innenrat abzuhalten, aus dem sich der „Steinberger Wertekatalog“ und die Idee, der Gemeinschaft der „Bergsteigerdörfer” beizutreten, herauskristallisierten. Beide Ideen wurden anschließend mit der Bevölkerung umgesetzt.

Auch über die beiden Bürger:innenräte hinaus wird die Bevölkerung kontinuierlich an der Erarbeitung und Umsetzung von Projekten beteiligt. So gibt es seit 2017 das Format „Dorf-Ratscher“, um die kontinuierliche Kommunikation mit den Bürger:innen sicherzustellen und Fragen zur Dorfentwicklung und zu Projekten zu diskutieren.

Neben der Partnerschaft mit der eigenen Bevölkerung legt die Gemeinde großen Wert auf Kooperationen mit anderen Gemeinden, etwa bei sozialen Dienstleistungen oder als Bergsteigerdorf.

2022 wurde Steinberg am Rofan für seinen umfassenden Beteiligungsprozess mit dem Europäischen Dorferneuerungspreis in Silber ausgezeichnet.

Durch die Förderungen der Lokalen Agenda 21 des Landes Tirol im Rahmen von vier Prozessen (2011, Bürger:innenrat; 2012-2015, Bürger:innenprozess ‚Dorfzentrum Neu‘; 2016–2018, Follow-Up des Bürger:innenprozess und 2019–2021, Entwicklungsprozess ‚Bergsteigerdorf‘) konnte die positive Entwicklung von Steinberg am Rofan wesentlich unterstützt werden.

Ausgewählte Projekte und Aktionen

Dorfhaus

Priorität für den ersten Bürger:innenrat hatte die Belebung des Dorfzentrums. Aus einem Projektteam mit Bürger:innen entstand in einem zweijährigen Prozess das Dorfhaus, das 2015 eröffnet wurde und heute als sozialer und gesellschaftlicher Treffpunkt dient. Das Dorfhaus beherbergt einen Mehrzwecksaal, in dem zahlreiche Veranstaltungen stattfinden, und eine Gastronomie. Besonderer Wert wurde auf die Nachhaltigkeit, die Ressourcenschonung durch die Verwendung von Lärchenholz aus den Steinberger Wäldern und einen geringen Energieverbrauch gelegt (gemeinsame Holzheizung mit dem Gemeindeamt). Von Beginn an hat sich eine Gruppe von Steinberger:innen gefunden, die mit Ideen und großem Engagement mithilft, das Dorfhaus mit Leben zu füllen.

Gemeindehaus

Neben dem Dorfhaus bildet das Gemeindehaus, das zwischen 2019 und 2020 generalsaniert wurde, den Kern des Dorfes. Bei der Sanierung wurde großer Wert daraufgelegt, dass die neue Gestaltung mit dem Dorfhaus eine Einheit bildet. Das Gemeindehaus beherbergt das Gemeindeamt als moderne Bürgerservicestelle, Volksschule und Kindergarten, die Musikkapelle, einen intensiv genutzten Jugendraum und die Breitbandzentrale. Im Foyer ist seit Juli 2020 ein Bergsteigerladen als Nahversorgungsstruktur untergebracht, der 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr geöffnet ist.

Steinberger Wertekatalog

Das Bewusstsein für die einzigartige Identität des Dorfes und die Notwendigkeit, sie als besondere Stärke und Richtschnur für die zukünftige Entwicklung zu formulieren, wurde im zweiten Bürger:innenrat im Jahr 2016 geweckt. Die Bürger:innen bildeten ein Projektteam, das sich damit auseinandersetzte, was das Dorf ausmacht. Das Ergebnis war ein Wertekatalog, der 2017 vom Gemeinderat beschlossen wurde. Er definiert Stärken und Grundwerte der Gemeinde, die vor allem in Offenheit und dörflichem Zusammenhalt, ökologischer Nachhaltigkeit, Ruhe und Naturverbundenheit liegen. Der Wertekatalog setzt einen Rahmen für die künftige Entwicklung der Gemeinde. Die Gemeinde bewertet alle neuen Projekte nach den darin festgelegten Grundsätzen.

Nachhaltiger Tourismus

Mit tatkräftiger Unterstützung der Bevölkerung gelang es der Gemeinde immer wieder, den Betrieb der Skilifte, die von der Schließung bedroht waren, zu sichern. 2022 wurden gemeinsam mit der Jugend Entwicklungsszenarien ausgearbeitet, um die Lifte, zu denen die Steinberger:innen eine besondere emotionale Bindung haben, langfristig zu erhalten. 

Steinberg ist seit jeher auf sanften, nachhaltigen Tourismus ausgerichtet. Im November 2020 wurde Steinberg in die Riege der Bergsteigerdörfer aufgenommen. Die Initiative „Bergsteigerdörfer“ des Österreichischen Alpenvereins zeichnet Gemeinden aus, die sich für eine nachhaltige und naturverträgliche Gemeinde- und Tourismusentwicklung einsetzen. Mit dem Prädikat „Bergsteigerdorf“ wurde ein touristischer Impuls gesetzt, der zur Gemeinde passt. Bei der positiven Entscheidung hob die Jury ausdrücklich den Bürgerbeteiligungsprozess und die Teamarbeit im Bewerbungsprozess, die grenzüberschreitende Kooperation mit dem Bergsteigerdorf Kreuth in Bayern und das Naturjuwel Steinberg als letztes Rückzugsgebiet zwischen den Großräumen München und Inntal, treffend bezeichnet als „das schönste Ende der Welt“, hervor.

Soziale Einrichtungen

Um ihre Kräfte zu bündeln, entschlossen sich sechs Gemeinden der Achenseeregion, darunter Steinberg am Rofan, die Aufgaben der regionalen Sozial- und Gesundheitssprengel gemeinsam zu erfüllen. 2021 wurde das Projekt „6 Gemeinden, eine mobile Pflege“ mit dem Tiroler Gemeindekooperationspreis ausgezeichnet. Mit den Nachbargemeinden wurde eine Community Nurse installiert, die vor allem älteren Gemeindebürger:innen mit Rat und Tat zur Seite steht.

Mobilität

Steinberg verfolgt langfristig die Vision „Steinberg verkehrsfrei“. Eine erste Grundlagenerhebung zum Thema Mobilität wurde durchgeführt. Weitere Schritte in diesem sensiblen Bereich werden behutsam gesetzt. Seit 2021 ist Steinberg am Rofan Teil und Zielpunkt des „Münchner Bergbus“ des Alpenvereins München & Oberland. Der Münchner Bergbus verbindet Wanderer und Bergsteiger aus dem Raum München mit Tourenausgangspunkten, die schwer öffentlich zu erreichen sind.

Ausblick

Die Gemeinde arbeitet aktuell an einem Entwicklungsleitbild, das die Weiterentwicklung der Gemeinde umfassend anhand der drei Säulen der Nachhaltigkeit denkt. Zur Umsetzung wird ein Projektplan mit Priorisierung erstellt. 

Daraus hat sich die aktuell größte Herausforderung herauskristallisiert, die jungen Steinberger:innen im Dorf zu halten und jungen Familien Heimat zu bieten. Ziel des neuen Projektes „Heimat Steinberg“ ist es daher, Steinberg als attraktiven Wohnort für junge Menschen zu stärken, um der Abwanderung entgegenzuwirken, junge Menschen aus der Region anzuziehen und damit die Vitalität des Dorfes langfristig zu sichern (Start im Herbst 2023). Weitere geplante Projekte umfassen die Themen

  • Nachhaltigkeit (Energie, Mobilität …),
  • touristische Infrastruktur (Lift, Loipen, zentrale Informations- und Tourismusdrehscheibe …) und Weiterentwicklung Bergsteigerdorf,
  • weitere Belebung des Dorfplatzes.

Als zukunftsfähige Gemeinde reicht es nicht, sich auf dem Erreichten auszuruhen. Steinberg arbeitet laufend daraus, sich gemeinsam mit der Bevölkerung nachhaltig und unter Wertschätzung des eigenen Erbes weiterzuentwickeln.

Redaktion und Rückfragen

Bürgermeister Helmut Margreiter
E-Mail: gemeinde@steinberg-rofan.tirol.gv.at 

Prozessbegleiter Mag. Rainer Krismer
E-Mail: beratung@krismer.cc 

Die Inhalte dieser Seite wurden vom Prozessbegleiter, Mag. Rainer Krismer, verfasst.