Nukleare Sicherheit in Europa Auf dem Weg zu einem Europäischen Nuklearsicherheitssystem

Die Europäische Union verfügt mit der geltenden Richtlinie „Nukleare Sicherheit“ über eine rechtlich verankerte Nachrüstverpflichtung, deren Nichteinhaltung zu einem Vertragsverletzungsverfahren und letztlich zu Sanktionen führen kann.

Lange Zeit war heftig umstritten, ob auf Basis des Euratom-Vertrags auch „Grundnormen“ – so heißt es im Euratom-Vertrag – für die nukleare Sicherheit geschaffen werden können, nicht nur für den Strahlenschutz. Erst der Europäische Gerichtshof schaffte hier Klarheit (EuGH Rechtssache C-29/99). Die Mitgliedstaaten behalten jedoch weiterhin die alleinige Zuständigkeit bei der Atomaufsicht.

2003 legte die Europäische Kommission erstmals einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Festlegung grundlegender Verpflichtungen und allgemeiner Grundsätze im Bereich der Sicherheit kerntechnischer Anlagen vor.

Die ersten Vorschläge der Europäische Kommission scheiterten aufgrund des Widerstandes einiger Nuklearstaaten. Österreich hingegen hatte seit jeher gesamteuropäische Sicherheitsstandards gefordert und die Bemühungen der Kommission unterstützt und sich intensiv und aktiv in die Beratungen eingebracht. Nicht zuletzt dank österreichscher Initiative blieb das Thema auf der europäischen Tagesordnung.

2007 setzte dann die Europäische Kommission eine hochrangige Expertengruppe für Nuklearen Sicherheit und Abfallentsorgung ein. (nunmehr European Nuclear Safety Regulators Group, ENSREG). Diese Gruppe war maßgeblich an der Ausarbeitung eines neuen Richtlinienvorschlags beteiligt.

Mit der Annahme der Richtlinie 2009/71/Euratom des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen wurden die ersten Schritte zur Schaffung eines europäischen Nuklearsicherheitssystems umgesetzt.
Festgelegt wurden darin bereits Grundprinzipien für den Rechtsrahmen, für die Aufsichtsbehörden und für Betreiber von kerntechnischen Anlagen, für den Erhalt von Kenntnissen und Fähigkeiten, für die Information der Öffentlichkeit sowie die Verpflichtung regelmäßiger Selbstbewertungen mit internationaler Überprüfung, über die allen Mitgliedstaaten und der Kommission Bericht zu erstatten ist.

Dies stellt eine einzigartige Neuerung gegenüber bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen dar. Österreich konnte sich mit seinen wichtigsten Forderungen durchsetzen. Verbesserungen gegenüber bisherigen Rechtsinstrumenten betrafen vor allem die Rechtsverbindlichkeit, den weiten Anwendungsbereich, die Verankerung des Prinzips „Sicherheit zuerst“ für Behörden und Betreiber sowie die Transparenzbestimmungen.

Vor dem Hintergrund der Katastrophe von Fukushima hat der Europäische Rat vom März 2011 – neben dem Auftrag für die Stresstests – die Kommission auch aufgefordert, den bestehenden Rechtsrahmen für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen zu überprüfen und Verbesserungen vorzuschlagen.

Am 28. Dezember 2012 hat die Kommission den Entwurf einer geänderten Richtlinie vorgelegt. Dies war der Beginn eines äußert komplexen und durchaus kontroversen Diskussions- und Verhandlungsprozesses. Die geänderte Richtlinie wurde letztlich am 8. Juli 2014 als Richtlinie 2014/87/Euratom einstimmig im Rat verabschiedet.

Die geänderte Richtlinie stärkt die nationalen Aufsichtsbehörden für nukleare Sicherheit, sie enthält ein rechtlich verbindliches anspruchsvolles EU-weites Sicherheitsziel – gültig für neue Anlagen sowie als Bezugsgröße für Sicherheitsverbesserungen für bestehende kerntechnische Anlagen, verbessert die Transparenz im Bereich der nuklearen Sicherheit und verlangt „themenbezogene Peer Reviews“ (Mini-Stresstests) mindestens alle 6 Jahre.

Damit wurde zum einen ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Nuklearsicherheitssystem gesetzt und zum anderen verfügt die Europäische Union damit über eine weltweit einzigartige rechtlich verankerte Nachrüstverpflichtung, deren Nichteinhaltung zu einem Vertragsverletzungsverfahren und letztlich zu Sanktionen führen kann. Da diese Anforderung noch relativ neu ist und die Richtlinie von „vernünftigerweise durchführbaren Sicherheitsverbesserungen“ spricht, gibt es allerdings noch wenig konkrete Erfahrung aber hohen Interpretationsspielraum.

10 Jahre Kernkraftwerksunfall Fukushima